Anekdote:
Kult-Motorräder aus
KRADBLATT 03/98
von Andreas Busch
Die eine Maschine ist einfach nur ein
Motorrad, die andere aber ein Kult-Bike. Warum?
Sieben Uhr morgens an einem Sonntag. Postkartenblauer
Himmel. Ein sonniger, vielversprechender Junitag beginnt.
Dr. Hans-Peter M. lenkt seine Harley-Davidson Electra
Glide von der Autobahn herunter, sanft - damit die
Trittbretter keine Kratzer bekommen - winkelt er den
Chromberg ab. Dann gibt er sich entspannt dem
Kurvengeschlängel der schmalen Landstraße hin. 80 oder
90, mehr ist nicht drin.
Vor der Windschutzscheibe des amerikanischen Dinosauriers
taucht ein schmales Moped auf. Zweitaktgestank erfüllt
die frühsommerliche Idylle. Dr. M. rümpft die Nase
unter dem offenen Chevignonhelm. Frechheit! Träge setzt
die Harley zum Überholen an. Ein leichter Dreh der
rechten Hand, der Fünfte ist sowieso schon drin. Doch
was ist das? Der kleine Stinker outet sich plötzlich als
wahrer Athlet. Deutlich sieht der Doktor, wie der Fahrer
seinen gummistiefelbewehrten Fuß zum Gangwechsel nach
unten drückt, das Moped nimmt mächtig Fahrt auf, zum
Beweis seiner Kraft eine blauweiße Abgasfahne hinter
sich herziehend wie ein kleiner Jet.
Dr. M. kennt die nächste Kurve. Er geht vom Gas. Der
Stinker nicht. Auf der nächsten Geraden sind die beiden
Motorräder bereits etwa hundert Meter voneinander
entfernt. Jetzt bekommt der Hubraumriese die Sporen
seines Reiters zu spüren. Fast 140 km/h zeigt die
Küchenuhr auf dem Tank an. Der Abstand zum Stinker ist
etwas geringer geworden, aber die nächste Kurve ist
schon da. Etwas wackelig auf seinen Fahrradreifen, aber
fröhlich, ungebremst und in abenteuerlicher Schräglage
verschwindet das Moped aus dem Blickfeld. Der
Harley-Treiber gibt das Spiel auf. Was soll's!
Aber der zweite Spaßverderber taucht bereits im
Rückspiegel auf. Ein kleiner, einzelner
Rundscheinwerfer, darunter ein mächtiges
schwarzlackiertes Trumm von Motor. Ein Fauchen und
Brüllen malträtiert das empfindliche Ohr des Doktors.
Der Fahrer setzt sich dreist neben ihn, das Gesicht unter
dem schwarzen Integralhelm grinst ihn frech an. Gelassen
geht Hans-Peter M. vom Gas, Zweikämpfe im öffentlichen
Straßenverkehr sind nicht sein Stil. Das heisere Fauchen
des Brutalo-Bikes ebbt ab, geht in ein sanftes Röcheln
über, das Biest bleibt einfach neben ihm. Jetzt reicht
es dem Herrenfahrer. Er schaltet einen Gang herunter und
gibt Vollgas. Unwillig beginnt die Harley loszustampfen.
Der Fahrer des Gangstermotorrads deutet mit dem
Mittelfinger der nackten Hand eine obszöne Geste
Richtung Amerika an, dann macht es zweimal vernehmlich
klack, das Vorderrad des Mega-Bikes verliert
den Bodenkontakt, Rauch steigt vom durchdrehenden
Hinterreifen auf, ein infernalisches Brüllen verschlingt
das gelassene Tuckern des ehrwürdigen Milwaukee-Twins,
dann ist der Spuk vorbei. Dr. M. ist wieder allein.
Zehn Minuten später lenkt er sein
Schmuckstück behutsam auf den Parkplatz des
Motorradtreffs. Zu so früher Stunde ist noch niemand
hier. Herr M. klappt den armlangen Seitenständer aus und
schwingt sich aus dem Sattel. Wirklich noch niemand hier?
Doch, direkt neben der Kaffeebude stehen zwei
Motorräder, das eine nicht zu übersehen, das andere
kaum als solches zu bezeichnen. Neugierig geht der Arzt
näher. Die Electra Glide ist sein erstes Motorrad, mit
anderen Maschinen kennt er sich nicht so aus. Aber er
ahnt sofort, wen er vor sich hat. Die beiden
Spielverderber! Die erste Maschine - das Moped - hat
offensichtlich schon seit zehn Jahren keinen Putzlappen
mehr gesehen, der Lack war vermutlich einmal blau. Der
Auspuff ist fast so lang wie das gesamte Motorrad und
genauso rostig. Der Motor sieht aus, als sei er die
Laubsägearbeit eines sechsjährigen Kindes. Auf dem
seltsam geformten Tank stehen zwei Buchstaben: MZ. Das
sagt dem Doktor überhaupt nichts. Ratlos wendet er sich
der anderen Maschine zu. Das ganze Ding scheint fast
ausschließlich aus Motor zu bestehen, ein schwarzer
Riesenblock von bösem und brutalem Aussehen.
Yamaha liest der Doktor, den Namen hat er
schon einmal gehört. Aber was bedeutet Vmax?
Um dies und anderes zu klären, nimmt er all seinen
akademischen Mut zusammen und schlendert zu den beiden
kaffeetrinkenden Gestalten an der Bude. Es wird ein
langer, anregender Vormittag, an dem nicht mehr viel
Motorrad gefahren wird. Obwohl sich die drei prächtig
verstehen, ist ihnen klar, daß MZ-, Vmax- und
Harley-Fahrer außer ihrer Liebe zu schwarzem Kaffee und
filterlosen Zigaretten absolut nichts Gemeinsames haben.
Zumindest glauben sie das...
Auch wenn sich die drei Herren an diesem strahlenden
Junimorgen der Tatsache nicht bewußt sind - sie haben
durchaus eine Gemeinsamkeit: Jeder von ihnen fährt ein
Kultmotorrad! Sowohl der Zahnarzt, der sich die 35
großen Scheine für sein US-Bike im wahrsten Sinne des
Wortes vom Mund abgespart hat, als auch der
zweiradbegeisterte Student, der nicht mehr als 800
Märker für seine gebrauchte Emme
lockermachen konnte oder wollte, genauso wie der
leistungshungrige Schlossergeselle, der die 17 Tausender
für sein 145 PS-Monster in 36 Monatsraten abstottert.
Doch wer oder was ist es, das eine Harley, eine MZ und
eine Vmax zum Kultobjekt werden läßt?
Sind es die Maschinen selbst, deren Fahrerinnen und
Fahrer, das Publikum, die Szene oder die
Fachpresse? Am Einstandspreis und an der Motorleistung
kann es nicht liegen - siehe oben. Vielleicht an der
Optik? Da kommen wir der Sache schon näher. Harley und
Vmax warten mit einem ungewöhnlichen Äußeren auf, die
MZ nicht minder. Doch das Aussehen der BMW K-Modelle ist
genauso gewöhnungsbedürftig. Haben sie deswegen schon
Kultstatus? Ganz sicher nicht. Sind die gewissen Bikes
vielleicht besonders perfekte Motorräder? Nein, denn
dann wären die neuen BMW-Boxer, Honda NTVs und Pan
Europeans die Kultobjekte schlechthin. Sind sie aber
nicht. Oder ist es etwa genau umgekehrt?
Sind die kultigen Kräder vielleicht auffällig
unvollkommene Vertreter ihrer Spezies? Ah, ja! Es sieht
ganz so aus, als ob wir auf der richtigen Spur sind. Die
Fahrwerksschwächen der Yamaha, die mickerigen
Fahrleistungen der Harley sowie Optik, Sound
und Trinksitten der MZ haben nämlich auch Vorteile. Man
kann darüber reden! Stundenlang. Was gibt es schon über
eine CB 500 oder Suzuki Bandit zu erzählen? Welch
interessanten Elektrikprobleme hingegen gibt es bei einer
betagten Guzzi Le Mans zu lösen! Wie entspannend ist es,
abends am warmen Kaminfeuer Tips über die winterlichen
Startschwierigkeiten der alten Zweiventil-Boxer
auszutauschen! Wer stellt mir die Ventile meiner
Desmo-Ducati in weniger als vier Stunden ein? Wer kann
mir für meine Kawasaki Mach 3 einen Tankanhänger bauen?
Ganz zu schweigen von den Fackelträgern des
Kultur-Clubs, den russischen Wanderbaustellen von Ural
und Dnepr. Ganze Bücher ließen sich mit ihren
Widerborstigkeiten füllen.
Warum aber werden perfekte Maschinen lediglich bewundert,
unvollkommene hingegen heiß und innig geliebt? Sollte
vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit in der Behauptung
stecken, daß Motorräder Charakter und Seele haben? Der
Mensch - und im besonderen der motorradfahrende - sucht
offensichtlich, im Bewußtsein seiner eigenen
Unvollkommenheit, ein Stück Technik, das in gleichem
Maße Fehler und Macken hat wie er selbst. Erst dann wird
das Bike zum Partner, zum Freund.
Der Mann und die Frau im Sattel, sie müssen sich mit den
Fehlern ihres Untersatzes befassen. Sie versuchen, sie zu
beheben, falls es nicht gelingt, müssen sie mit ihnen
leben. Und sie tun es gern und haben Spaß dabei. Das ist
immer noch das Wichtigste. Und dann spielt es auch keine
Rolle mehr, ob man weniger oder mehr säuft als seine
Zweitakt-MZ oder ob die XT 500 bei jedem Startvorgang
ihrem Besitzer vor's Schienbein tritt, dem Menschen auf
der Electra Glide macht es nichts mehr aus, von jedem
Kleinwagen abgehängt zu werden und abgefallene Triumph
Bonneville-Teile lassen sich auch wieder
anschweißen.
Es scheint ganz so, als ob der Kultbike-Eigner ehrlicher
zu sich selbst als andere ist. Am liebsten möchte er den
High Tech- Perfektionsmaschinen-Fahrern zurufen:
Seht her, das unter mir ist nur eine Maschine, und
doch ist sie fehlerhaft wie ich selbst. Euer Motorrad mag
perfekt sein, aber es macht Euch als Menschen auch nicht
besser. Aber dann schweigt er doch lieber und freut
sich. Der Dnepr-Gespann-Fahrer freut sich über den Trick
mit dem angeschweißten Abschlepphaken, der MZ-Fahrer ist
stolz darauf, daß er den letzten Kasten Bier nicht
ausgetrunken, sondern gegen einen Ersatzmotor
eingetauscht hat, und der Vmax-Fahrer bekommt immer noch
rote Ohren, wenn er an den Tag zurückdenkt, an dem ihm
sein Reifenhändler das Du angeboten
hat.
Und wer es leid ist, in den Kabelbäumen seiner Guzzi
einem heimtückischen Kupferwurm hinterherzukriechen, wer
es satt hat, wegen der MZ vor der Eisdiele von den
Mädchen (und Jungs) ausgelacht zu werden, wer einfach
keine Lust mehr darauf hat, jeden Morgen aufs Neue von
seinem Einzylinder getreten zu werden, der kann sich ja
immer noch eine CB 500, eine XJ 600, eine GSF, GSX, GPZ
oder irgendwelche andere Buchstaben kaufen.
Höchstwahrscheinlich wird er es aber nicht tun. Warum
nicht? Weil ein paar Buchstaben noch lange kein Motorrad
sind. Genauso wenig wie ein Name ein Mensch ist. That's
it.
Aber jetzt laßt uns von etwas anderem reden. Von der
schlappen Batterie meines Boxers zum Beispiel. Von den
ewig blanken Pellen Deiner Vmax. Hat irgend jemand den
Batteriekastendeckel von Petras Bonneville gesehen? Und
ihr da hinten, habt ihr richtig was im Ärmel, könnt ihr
mal eben Dieters Ural-Gespann anschieben? Dann dürft ihr
auch eine Runde auf Zorros MZ drehen. Okay, ihr hättet
lieber einen Kaffee? Könnt ihr haben. Und dann muß ich
euch unbedingt noch etwas erzählen...
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